von Cornelia Schimmel
Stefanie und ihr Herzkind Freya habe ich im letzten Herbst bei unserem kinderherzen-Fotoshooting kennengelernt. Es war ein sonniger Herbsttag und Stefanie schlenderte neben mir zum Park der Bonner Kinderklinik. Sie trug ihre warm einpackte Tochter Freya auf dem Arm. Den üblichen Smalltalk ließen wir weg. Das passiert oft mit unseren Herzfamilien – man steigt direkt dort ein, wohin sich andere eventuell nie trauen. „Es ist schön heute mal an der Kinderklinik zu sein, ohne dass Freya eine Untersuchung hat“, meinte Stefanie zu mir. „Es war damals unser großes Glück, dass wir hierhergekommen sind. In einem anderen Krankenhaus hätten Freya und ich die Geburt nicht überlebt.“
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Schweigen bei der Pränataldiagnostik
In der 21. Schwangerschaftswoche hatten Stefanie und ihr Mann Peter einen Termin beim Organscreening. Stefanie war zum ersten Mal schwanger und beide waren mächtig gespannt. Stefanie erinnert sich noch sehr lebhaft an den Moment der Untersuchung. „Der Arzt brauchte gefühlt eine halbe Ewigkeit und hat gar nicht mehr gesprochen.“
Diagnose Herzfehler
Nach einer langen Ultraschalluntersuchung durfte Stefanie endlich von der Liege aufstehen und auf dem Rollhocker des Gynäkologen Platz nehmen. Dann folgte die unfassbare Nachricht: Ihr Kind hat mehrere schwere Herzfehler und wird ohne Operationen nicht lebensfähig sein.
„Um mich herum wurde es plötzlich ganz still. Es hat mir denBoden unter den Füßen weggezogen – zum Glück saß ich bereits, sonst wäre ich sicherlich umgekippt“, dieses dumpfe Gefühl der Machtlosigkeit hat sich tief in Stefanies Gedächtnis eingebrannt. „Die Welt um uns herum hörte sprichwörtlich auf sich zu drehen.“
Der Gynäkologe suchte hektisch ein Fachbuch aus seiner Sammlung heraus, um den geschockten Eltern die angeborenen Herzfehler zu erklären: Trikuspidalatresie, Vorhofseptumdefekt und Ventrikelseptumdefekt … „Ich habe kaum zuhören können“, gibt Stefanie zu. „Ich erinnere mich noch, dass er uns ein Foto von einem Mädchen mit einem Hypoplastischem Linksherzsyndrom zeigte. Er berichtete, dass dieses Mädchen jetzt schon sieben Jahre alt sei und das es ihm gut ginge und dass das Rechtsherzsyndrom unserer Tochter weniger schlimm sei als ein Linksherzsyndrom … er meinte es gut und wollte uns Mut machen. Aber in so einer Situation hilft gar nichts.“
„Tu zuerst das Notwendige, dann das Mögliche und plötzlich schaffst Du das Unmögliche.“
(Franz von Assisi)
Das Einzige, was half aufzuklären, war ein unverzüglicher Termin in der Pränataldiagnostik bei Prof. Dr. med. Gembruch und ein Gespräch in der Kardioambulanz mit Frau Dr. med. Bernhardt in der Uniklinik Bonn. „Sie sprachen uns Mut zu. Aber erklärten uns auch, dass wir die Option hätten, das Kind nicht zu bekommen.“ Zu dem Zeitpunkt konnte Stefanie ihre Tochter im Bauch schon spüren. „Das war für uns nie eine Option – wir haben nicht eine Sekunde darüber nachgedacht.“
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In Stefanie und Peter wurde mit der Diagnose ein unerschütterlicher Kampfgeist geweckt, den sie sich bis heute bewahrt haben. „Wir haben vom ersten Tag der Diagnose an immer gesagt, dass wir jetzt keine andere Wahl mehr haben. Wir machen alles Mögliche und tun alles Nötige um unserer Tochter ein gutes Leben zu bieten.“
Einsame Kämpfer
Trotz aller Zuversicht, hatten Stefanie und Peter eine sehr schwere Zeit nach der Diagnose. „Tatsächlich ging es uns überhaupt nicht gut“, erinnert sich Stefanie schwermütig. „Wir Herzeltern, oder überhaupt Eltern eines kranken Kindes, merken, dass sich einige Freunde abwenden. Andere wiederum sagen, dass man uns das schwere Schicksal gar nicht anmerkt.“ Aber das ‚Schicksal‘ ist da und es wird auch nicht unsichtbar, wenn man es ignoriert.“
Doch wie können Freunde in so einer Situation feinfühlig reagieren? Was würde den betroffenen Eltern helfen? „Ich hätte mir gewünscht, dass einfach jemand nachfragt, wie es uns damit geht, dass unsere Tochter schwerkrank geboren wird. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen es gar nicht wahrhaben wollen, dass auch Kinder schwer- oder todkrank sein können. Das ist für viele kaum zu ertragen, daher schweigen sie lieber.“
Ihre Familien dagegen haben bewiesen, dass Blut dicker ist als Wasser. „Sie waren wirklich sehr unterstützend und haben uns viel geholfen. Dafür sind wir sehr dankbar!“
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Freya lässt auf sich warten
Der errechnete Geburtstermin rückte näher, doch die kleine Freya ließ sich Zeit. Die Ärzte entschieden letztendlich, die Geburt künstlich einzuleiten. 48 Stunden lang lag Stefanie in den Wehen. Ein Kraftakt für Mutter und Kind. „Im Kreißsaal der Uniklinik Bonn stand das komplette Herz-Notfallteam schon parat. Eine skurrile Situation, wenn man in den Presswehen liegt und eine Schar von Kinderkardilogen nur darauf wartet, dass man ‚fertig‘ wird.“
„Die schafft das!“
Sobald Freya auf der Welt war, wurde sie untersucht und durchgecheckt. Direkt danach wurde Stefanie ihre kleine Tochter auf die Brust gelegt. „Da habe ich Freya zum ersten Mal gesehen und mein erster Gedanke war: ‚Ja, die schafft das! Die ist stark!‘“ Kurz darauf wurde Freya dann auf die Neoantologische Intensivpflegestation (NIPS) gebracht.
Lebensgefahr!
Urplötzlich kippte die Stimmung im Kreißsaal: Stefanie hatte unerwartet starke Nachblutungen. „Ein Arzt sprang mir auf den Bauch und pumpte, um die Blutung zu stoppen und dann war ich auch schon prompt selbst im OP.“
Es ging alles so schnell, dass der frischgebackene Vater Peter gar nicht hinterherkam: auf einmal waren Kind und Frau weg und er saß völlig alleine auf dem Flur. Seiner Frau konnte er in dem Moment nicht helfen und so tat er das einzig Richtige. „Peter war unglaublich stark in dem Moment – er hat sich direkt um Freya gekümmert und sich alles zeigen lassen vom Wickeln bis zum Füttern.“ Von den schlimmen Verlustängsten, die er in diesem Moment ertragen musste, erzählte er Stefanie erst sehr viel später.
Zwiegespräche auf der Intensivstation
Nach der Notoperation kam auch Stefanie sofort auf die Intensivstation. „Ich wurde im Bett oder im Rollstuhl zu meiner kleinen Tochter in die NIPS gebracht. Außerdem haben die Schwestern meine Freya in ihrem kleinen Wärmebettchen zu mir auf die Intensivstation gefahren. Dafür bin ich so dankbar – das waren so schöne Momente.“
Ein krankes Herz für zwei Leben
Woher die starken Nachblutungen bei Stefanie so urplötzlich kamen, kann rückblickend niemand mehr sagen. „Was ich aber mit Gewissheit sagen kann ist, dass Freyas Geburt in der Uniklinik Bonn unser Glücksfall war! Eine Entbindung in einem normalen Krankenhaus bei uns in der Nähe hätten wir beide nicht überlebt. Wir können von Glück sagen, dass wir von dem Herzfehler schon vor der Geburt wussten. Freyas frühzeitige Diagnose hat uns beiden das Leben gerettet.“
Am 10. Lebenstag stand Freyas erste Operation am offenen Herzen an. In der Zwischenzeit wurden beide, Mutter und Tochter, auf die Normalstation verlegt. Freya verließen langsam ihre Kräfte und das trinken fiel ihr zusehends schwerer. Die Ärzte hatten die Eltern bereits darauf vorbereitet.
Freyas Operation verlief gut und die junge Familie verließ die Klinik nach insgesamt 26 Tagen. Acht Monate später braucht Freya die zweite Operation, die Glenn-OP*. Auch diese steckte sie tapfer und gut weg.
Vom Leben mit Herzchen
Als frischgebackene Eltern von einem Herzkind beschäftigten sich Stefanie und Peter mit ganz anderen Themen, als Eltern von gesunden Kindern. Sie wurden schnell sensibel für mögliche Gefahren. „Generell leben wir isolierter: Kein Babyschwimmen, keine Krabbelgruppe, keine großen Menschenansammlungen wie zum Beispiel beim Einkaufen – das alles haben wir wegen der Ansteckungsgefahr nicht gemacht. Was für andere nur ein bisschen Halsschmerzen sind, ist für Freya gefährlich.“
Freya kühlt schnell aus. Auch wenn sie warm eingepackt ist, kann sie sich bei kalter Witterung nicht lange draußen aufhalten. Sie wird dann noch blasser und ihre Lippen und Hände werden kalt und blau. Hitze kann sie viel besser ertragen als Kälte. “Wir fahren auch nicht länger weiter weg. Köln oder Bonn sind von uns aus schon die weitesten Entfernungen. Weiter haben wir uns bisher noch nicht getraut.“
„Wir planen unser Leben mehr oder weniger um den Herzfehler herum. Das ist für uns längst zum Alltag geworden.“
Freya selbst steckt diese Einschränkungen wohl am besten weg. Sie ist ein fröhliches, zufriedenes Mädchen und nimmt an, was das Leben ihr schenkt – diese positive Lebenseinstellung hat sie zweifelsfrei von ihren Eltern gelernt. Sie kann nicht toben oder rennen, deswegen liebt sie es zu malen und zu basteln. „Wir haben zu Hause eine Spielzeug-Kinderstation mit Ultraschallgerät. Sie spielt gerne mit dem kleinen Arzt, der die kranken Kinder untersucht. Am Ende sagt er zu jedem Kind: ‚Alles gut, kannst nach Hause.'“
Eine OP steht noch bevor
Freya wird ihren Arzt an der Uniklinik Bonn im nächsten Jahr noch einmal zur Fontan-Operation** wiedertreffen. Ob ihre Eltern Angst davor haben? „Wir gehen mit der Situation ähnlich um, wie auch am Anfang: Wir haben keine andere Wahl und müssen da durch, damit es ihr gut geht. Hoffentlich wird ihre Sauerstoffsättigung anschließend besser und sie bekommt genügend Puste, um ein bisschen laufen zu können und nicht ständig nach Luft schnappend stehen zu bleiben. Wir freuen uns darauf, wenn sie endlich eine bessere Lebensqualität hat.“
Wir von kinderherzen drücken Freya, Stefanie und Peter alle Daumen, dass auch die echten Ärzte am Ende sagen: „Alles gut, kannst nach Hause.“
Herzkinder wie Freya und deren Familien profitieren von unserem Forschungsprojekt der vorgeburtlichen Erkennung von angeborenen Herzfehlern. Lesen Sie hier alles zu unserem Projekt. Um noch mehr herzkranken Kindern wie Freya helfen zu können, brauchen wir Spenden.
Seit 30 Jahren setzt sich kinderherzen für die Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten von Kindern und Erwachsenen mit einem angeborenen Herzfehler ein. Angeborene Herzfehler sind die häufigste angeborene Organfehlbildung. Allein in Deutschland leben über 100.000 Kinder mit einem angeborenen Herzfehler.
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*Bei der sogenannten Glenn-Operation wird das Kunststoffröhrchen häufig wieder entfernt und die obere Hohlvene direkt mit der rechten Lungenschlagader verbunden. So wird die rechte Herzkammer, die bisher vermehrte Arbeit leisten musste, zum Teil entlastet und das Blut wird passiv – allein durch den Venendruck – durch die Lunge geleitet. Nun können sich die Kinder nahezu altersgerecht entwickeln.
**Bei der Fontan-Operation verbindet der Chirurg meist in einem zwei- oder dreischrittigen Operationsverfahren – die obere sowie die untere Hohlvene in Form eines Tunnels inner- oder außerhalb des Herzens mit der Lungenschlagader.
Danke an Picture Moments Fotografie für die schönen Bilder, die an dem Tag entstanden sind!